Tag 18

In der Wüste wird es langsam hell. Jetzt sehen wir auch bei Tageslicht, wo wir gestrandet sind. Es ist etwa 5 Uhr und recht frisch. Eine Dreiviertelstunde später fahren wir los. Die aufgehende Sonne taucht die Wüste in ein goldenes Licht. Und wieder eine Überraschung: nach nur rund 100 Metern Fahrt landen wir auf einer asphaltierten Straße.

Zunächst denken wir: hätten wir die nicht schon in der Nacht entdecken können? Später aber freuen wir uns, dass es so kam, wie es kam. Denn die Nacht in der Wüste war ein ergreifendes Erlebnis. Die beziehungsweise das kann uns niemand mehr nehmen.

 

Aus einem anderen Grund war es zudem sinnvoll, die Fahrt in der Nacht nicht fortzusetzen: Die Asphaltstraße ist nämlich hin und wieder unterbrochen. Wir müssen sie mehrmals umfahren. Die Ausweichwege sind aber so abenteuerlich unwegsam, wie die Piste am Vortag. In der Nacht hätten wir diese nicht unbeschadet meistern können.

 

 

Immer wieder sehen wir einzelne kleine Gebäude und Ansiedlungen. Vor uns quert plötzlich ein Hirte mit einer langen Reihe von Kamelen die Straße. Links unseres Weges wohl ein zukünftiges Neubaugebiet im Nichts der Wüste. Mehrere Erschließungsstraßen und Fundamente für Häuser sind bereits angelegt. Und schon wieder ein tiefes Schlagloch. Unsere Sterne haben die letzten Stunden ein wenig gelitten, haben den Abstecher durch Sand und Steine wegen ihrer Robustheit ohne größere Macken unbeschadet überstanden. Und auch wir sind erleichtert, auch weil wir am Vortag ein großes, rotes Warnschild gesehen haben: Palästinensisches Gebiet – Gefahr für Israelis.

Nach einer Stunde Fahrt durchqueren wir eine größere Ansiedlung: Häuser, kleine Schrottplätze, Steinmauern, Esel, Traktoren, Autos, eine kleine Schafherde, wenige Menschen sind zu sehen. Rückkehr in die Zivilisation. Der erste Fahrradfahrer taucht auf. Wie dicht plötzlich alles besiedelt ist. Der erste Kreisverkehr. Wohin? Nach rechts: Al Menya Landfill. Nach links: Sai’t – wir entscheiden uns für letztere Richtung. Eine neue Straße, so glatt wie ein Kinderpopo. Wir biegen nach rechts auf die Route 60 ab. Ein Warndreieck. Ein Lkw hat Nägel verloren. Der Fahrer kehrt sie von der Straße. Gegen 7 Uhr der erste Stau in Richtung Jerusalem. Simon meldet über Funk, der bei uns im Merkur nur noch lückenhaft funktioniert: Noch so ein Stau und unsere Kupplung ist am… (zensiert).

Bis 11 Uhr haben wir Zeit, Jerusalem zu erkunden. Wir machen uns auf in Richtung Altstadt. Es geht durchs jüdische Viertel. Wir kaufen bei einem Bäcker Brot und heißen Kaffee. Nach unserem Frühstück to go bahnen wir uns den Weg zur Klagemauer. Kurz davor müssen wir einen Raum mit Körperscannern und Durchleuchtungsgeräten passieren, wie im Flughafen. Taschen werden kontrolliert, außerdem die Hosenlänge der Frauen. Uta bekommt einen Stoff, den sie sich als Rock umbinden kann.

Dann der erste Blick auf die Westmauer. Der Platz davor ist rappelvoll mit Menschen. Links, der wesentlich größere Teil, mit Männern, rechts daneben mit Frauen. Ein besonderes Erlebnis ist es, den betenden Menschen zuzusehen und deren Gesang zuzuhören. Aus dem Lautsprecher ertönt unentwegt ein lautes Gebet.

Dass heute hier so viel los ist, ist kein Zufall. Heute ist der Jerusalemtag, Jom Jeruschalajim. Die Wiedervereinigung der Stadt vor 50 Jahren beziehungsweise die Eroberung Ostjerusalems im Sechs-Tage-Krieg 1967 von den Jordaniern durch die Juden steht an diesem Tag im Mittelpunkt. Wegen des Feiertages sind viele Menschen in Jerusalem unterwegs. Wir sehen auch viele Schulklassen.

Sigrid und Uta machen sich auf den Weg zur Klagemauer. Auch Sigrid bekommt nun einen Rock verpasst. Sie stecken die Friedensbotschaften, die wir zuvor vom Vizepräsidenten der deutsch-israelischen Gesellschaft, dem Backnanger Bundestagsabgeordneten Christian Lange, und vom Backnanger Oberbürgermeister, Dr. Frank Nopper, erhalten hatten, sowie auch eigene Friedenswünsche in die Ritzen und Spalten der Mauer, in der sich schon zahlreiche andere Zettel befinden. Monatlich werden die zusammengefalteten Zettel aus den Ritzen entfernt, um wieder Platz für neue aufgeschriebene Gebete, Wünsche und Danksagungen zu schaffen. Die eingesammelten Botschaften auf Papier werden dann auf dem Ölberg bestattet.

Zurück im Fahrerlager füllen wir unsere Benzintanks auf, kaufen Wasser, entsorgen Müll und bereiten die nächste Route auf der Karte vor.

 

Gestern war US-Präsident Donald Trump zu Besuch in der Stadt. Die Klagemauer war aus diesem Grund nicht zugänglich, erzählt einer der Österreicher. Der Rallye-Teilnehmer sagt außerdem, dass, wenn man ins Arabische Viertel will, dies nur von 7 bis 11 Uhr möglich ist und man sich als Araber ausweisen muss. Im Übrigen war wohl die auf der Karte eingezeichnete Autobahn nach Jerusalem, die wir vermeiden wollten, doch keine Autobahn, berichten die Vorarlberger.

Unser nächstes Ziel, von Jerusalem aus, ist der Jordan River, der Grenzfluss zwischen Israel und Jordanien. Um dort hin zu kommen, fahren wir durch einen mehrere Hundert Meter breiten, teilweise verminten Grenzstreifen. Wir sind hier auf der baptistischen Seite. Es sind sehr viele Menschen aus der ganzen Welt hier, die ein weißes Gewand tragen und sich im Fluss von einem Geistlichen ihrer jeweiligen Religion taufen lassen. Unsere aus der Höhle mitgebrachten Fläschchen füllen wir mit Jordanwasser und verschließen sie fest mit einem Korken.

Unsere Pässe halten wir schon bereit. Über die King-Hussein-Bridge geht es Richtung Grenze nach Jordanien. Wir sind uns unsicher, ob das der Grenzübergang ist, den wir laut Roadbook nehmen sollen, und fahren weiter auf der Route 90, der Gandi Road, der längsten Straße in Israel (480 Kilometer). Es ist 13.50. Wir haben noch etwa eine Stunde Zeit, bis wir die Grenze passiert haben müssen.

Wir fahren Richtung Be’er Sheva. Kurz vor einer Station – wir dachten schon, es sei die Grenze – fährt ein Auto rechts an uns heran und zwei Israelis fragen, ob das die Allgäu-Orient-Rallye sei, und wo das israelische Team ist. 14.30 Uhr: Wir haben es vor 15 Uhr geschafft und sind an der Grenze Jordan River Border Crossing.

Zuerst bringen wir die Passkontrolle hinter uns, nicht ohne vorher das Einlegeblatt aus Israel für die Ausreise verschwinden zu lassen. Nicht vergessen: das Foto des Grenzübertritts für unser Roadbook. Nächster Anlaufpunkt ist die Autoversicherung. Papierkram. Dann müssen wir zum sogenannten Customs Officer. Auch hier bekommen wir ein Blatt in arabischen Schriftzeichen ausgedruckt – für uns ein Buch mit sieben Siegeln.

Bisher sind wir einigermaßen zügig durchgekommen. Nun stehen wir schon eine ganze Weile vor dem Häuschen, der dritten Anlaufstelle, in der es noch einen Stempel zu holen gilt. Ein Mitglied eines anderen Teams erzählt: wir hatten den Stempel schon, dann wurde der Pass wieder auf einen anderen Stapel gelegt. Plötzlich wurden alle aus dem Häuschen gescheucht. Hosam, unser jordanisches OK-Mitglied, sammelt Pässe ein, zusammen mit einem weiteren Blatt, das wir an der zweiten Anlaufstelle erhalten haben. Mal sehen, ob es jetzt schneller geht.

 

Wir warten schon seit über einer Stunde. Ab und zu wird ein Name aufgerufen. Derjenige wird in das Häuschen gebeten. Zwei Damen mit Kopftuch sitzen am Schreibtisch, die eine tippt Namen und weitere Daten in den PC ein, Buchstabe für Buchstabe. Endlich, ich bin fertig. Dann auch Phillip, und irgendwann dann auch Uta – die drei Halter unserer Sterne.

 

Gegen 19 Uhr können wir endlich von der Grenze aus starten. Welch ein Empfang in Jordanien: winkende Kinder, vorrangig Jungen, winken voller Freude. Die älteste Kirche der Welt in Rehab (Rihab) bei Al Mafraq zu besuchen, das ist hier unsere erste Rallyeaufgabe. Aber in einer Dreiviertelstunde wird es bereits dunkel. So beschließen wir, direkt ins Wüstencamp zu fahren.

Gegen 20 Uhr gelangen wir auf den sandigen Zufahrtsweg mit größeren Steinen. Nur im starken Scheinwerferlicht gelingt es uns, den Weg auszumachen, da er sich kaum von der sandigen Umgebungslandschaft abhebt. Wie gut, dass Venus so viele Zusatzscheinwerfer hat, die die Fahrstrecke vor uns wunderbar ausleuchten. Wir stellen unsere Sterne in die Wüste und bereiten alles fürs Grillen vor. Es gibt Hähnchenschenkel.

Uns alle erwartet ein riesiges Zelt, das einer der ältesten arabischen Stämme zur Begrüßung aufgebaut hat, und das schön mit Teppichen ausgelegt ist. Es ist das erste Mal, dass wir gleich am ersten Tag in Jordanien mit einem Fest empfangen werden, hören wir von Wilfried. Die Araber bieten Tee und Kaffee an. Beides sehr süß. Überhaupt ist hier das lösliche Kaffeepulver, schon fertig gemischt mit Zucker und Milchpulver, sehr beliebt.

 

Später bieten die Gastgeber allen Rallyefahrern Mansaf an, ein traditionelles arabisches Gericht. Auf mehreren kleinen Tischen steht jeweils eine große Pfanne mit Lammfleisch und Reis, in Joghurt gekocht. Nach dem Nachtmahl führen die Araber traditionelle Tänze auf und holen Rallyeteilnehmer in ihre Mitte. Im großen Kreis wird reihum getanzt, geklatscht und gelacht.