Tag 17

In der Wüste ist alles anders. Wer ungestört seinen Toilettengang verrichten will, muss erst mal viel laufen. Meilen weit. Frauen suchen niedrige, ausgedörrte Büsche. Mehr gibt es nicht, um sich zu verstecken. Letzte Vorkehrungen vor der Abfahrt: Reifen werden festgezurrt, der Kaffee ausgetrunken, die Campingstühle in der Dachbox verstaut. Es geht aus dem Camp heraus auf die Route 40. Die Uhr zeigt 20 vor 10.

 

Laut Roadbook führt uns die erste Aufgabe heute zum Grab von Ben Gurion. David Ben Gurion hat am 14. Mai 1948 in Tel Aviv die Unabhängigkeit des Staates Israel ausgerufen. Von 1948 bis 1953 und von 1955 bis 1963 war Ben Gurion Premierminister Israels.

Es gibt ein legendäres Foto von Ben Gurion, das ihn beim Kopfstand zeigt. Einer aus unserem Team soll nun ebenfalls auf dem Kopf stehen, während die anderen dies für das Roadbook per Foto dokumentieren. Phillip meistert diese Aufgabe bravourös. Hier oben ist es wie in den Alpen: wir entdecken Steinböcke.

Und Sigrid entdeckt in einem Bus ein Kamel aus Plüsch mit dem Schriftzug Jerusalem. Fotoshooting mit Kami ist angesagt. Der Busfahrer ist von unserem Maskottchen so sehr angetan, dass er es am liebsten eintauschen würde. Geht natürlich nicht.

Durch die trockene felsige Wüste fahren wir zum Toten Meer. Ich staune: als ich vor knapp 30 Jahren hier war, kam mir das Meer größer vor. Der Eindruck trügt nicht. Pro Jahr sinkt der Wasserspiegel um einen ganzen Meter. Der Grund: zu viel Wasser wird dem Jordan entnommen, der im Toten Meer mündet. Wir fahren vorbei an einem Magnesiumwerk, an Hotels, verlassenen Gewächshäusern und Palmenplantagen – auf der Suche nach einer Stranddusche. Denn Duschen ist bei uns allen ganz dringend angesagt.

Wir landen am Kalia Beach, ein öffentlicher Strand mit Bars und Geschäften, der auch Eintritt kostet. Hier zeigt das Thermometer 35 Grad im Schatten. Schnell die Badeklamotten an und ab ins Meer. Wir liegen im Wasser. Oder besser: auf dem Wasser. Unglaublich, wie sehr das Wasser trägt.

 

Der Salzgehalt des Toten Meeres liegt bei bis zu 33 Prozent, im Durchschnitt rund 28. (Zum Vergleich: Der Salzgehalt des Mittelmeeres liegt bei durchschnittlich 3,8 Prozent.) Wir befinden uns hier 420 Meter unter dem Meeresspiegel. Schön einschmieren mit dem dunklen Schlamm. Das machen Viele hier. Davon bekommt man eine schöne Haut. Sagt man. Ich habe bereits eine schöne Haut. Ich lass das mit dem Schlamm.

Kurz vor 16 Uhr brechen wir auf. Unsere Sterne stehen auf dem Parkplatz in der prallen Sonne. Auf der Fahrt zum Toten Meer hatte das Thermometer die meiste Zeit 38 Grad angezeigt. Und die Klimaanlage in unserem Merkur funktioniert immer noch nicht.

Da wir nicht Autobahn fahren sollen und wollen, geht es ein Stück entlang des Toten Meeres zurück für eine Nebenstraße, die zwar in der Karte verzeichnet ist, sich dann aber als Offroadstrecke entpuppt. Nie wäre ich in Deutschland auf die Idee gekommen, meinem Golf eine solche Strecke zuzumuten.

Irgendwann kommt uns ein Rallyeteam, die Charity Explorers, entgegen. Auch sie wollten abseits der ausgebauten Straßen zum nächsten Ziel fahren. Etwas Abenteuer erleben. Aber sie sind umgekehrt, weil die Wegverhältnisse sich immer mehr verschlechtert haben. Da gab es einen Punkt, an dem es selbst mit ihrem Geländewagen kein Weiterkommen mehr gab, sagen sie. Dann haben sie gedreht. Das war vor einer Stunde.

Kurze Team-Turborostig-Besprechung: wir fahren weiter. Über Schlaglöcher, Wellen, Abbruchkanten. Füllen Löcher mit Steinen auf. Immer wieder Bodenkontakt. Die Ölwannenschutzbleche haben sich bereits bezahlt gemacht. Nur haben wir sie nicht angeschweißt, sondern nur verschraubt. Das wird Merkur zum Verhängnis. Beim letzten Bodenkontakt werden die vorderen Schraubenköpfe abgeschert, das Blech hängt nun vorne herunter. Wir befestigen es mit Gurten, so gut es eben geht.

Eine Militärkolonne kommt uns entgegen. Zunächst etwa fünf Fahrzeuge. Geländegängig sind sie alle. Auf der Pritsche sitzen jeweils sechs Mann in voller Montur. „No foto!“, ruft einer. Er hat die Spiegelreflexkamera, die ich umhängen habe, gesehen. Natürlich halten wir uns alle daran. Uns treffen einerseits etwas ungläubige und irritierte Blicke – als ob die Soldaten uns fragen wollten: Was habt ihr denn vor? In die Steinwüste fahren? Mit DEN Autos? Seid ihr bescheuert? Andererseits sind die meisten der Soldaten sehr aufgeschlossen und freundlich, fragen uns, wo wir herkommen, wo es noch hingeht und so weiter. Wir fragen sie, ob wir durchkommen werden. Wir ernten nur Kopfschütteln und Worte, die so klingen wie: keine Chance.

Wir fahren trotzdem weiter. Zurück können wir eh‘ nicht, das schafft Jupiter nicht mehr. Phillip und Simon geben ihrer Kupplung nur noch wenige Stunden Lebensdauer. Stück für Stück arbeiten wir uns vorwärts. Simon warnt uns vor Skorpionen, er hat eben einen gesichtet. Laut einem Infoschild müssten wir in der Wüste Darga sein. Immer wieder Passagen, die uns zum äußersten Langsamfahren zwingen.

Fast wie auf einem Drahtseil balancieren wir mit unseren Sternen auf teilweise sehr schmalen Fahrspuren. Manchmal müssen wir aussteigen, Steine in Fußballgröße entweder von der Straße entfernen, das andere Mal benötigen wir solche Steine, um uns eine Rampe zu bauen. Wieder und wieder kommen uns Militärfahrzeuge entgegen. Immer wieder die gleichen Blicke und Fragen.

Dann, nach einer Stunde, hinter einer Kurve, erstreckt sich vor uns eine kleine Schlucht und die Stelle, die alle meinten, als sie sagten: keine Chance. Ich schaue mir den Abstieg näher an. Wenn mir jetzt jemand eine Wette vorschlägt – ich würde Haus und Hof dafür verwetten, dass wir tatsächlich keine Chance haben. Merkel mit ihrem „Wir schaffen das!“ hätte ich jetzt ausgelacht.

Zunächst müssen diese Stelle rund 20 Militärfahrzeuge in der Gegenrichtung passieren. Eines nach dem anderen nimmt Anlauf. Aber nicht zu viel. Manchmal ist Schritttempo angesagt. Die Fahrzeuge holpern, springen von einem Stein zum anderen, kleine Felsen sind dabei, Räder drehen durch, dann noch ein Anlauf… geschafft. Jubel bei den Soldaten. Jeder Fahrer, der es auf Anhieb schafft, wird beklatscht. Aber es schafft nicht jeder Fahrer. Einer muss dreimal neuen Anlauf nehmen. Jedes Mal drehen die Räder durch. Und jedes Mal werden dabei von der zuvor gebauten, etwa ein Meter hohen Rampe wieder große Steine weggeschleudert. Wir denken: hoffentlich kippt der jetzt nicht nach rechts weg. Wir helfen mit, die Rampe wieder neu aufzubauen. Das ganze Schauspiel dauert eine halbe Stunde, dann sind die Militärfahrzeuge durch.

Jetzt sind wir dran. Einige der Soldaten helfen nun auch uns, Steine für unsere Sterne zurechtzulegen. Einer, wohl der Anführer, gibt uns Tipps, wie wir die Rampe bauen und wie wir dann darauf herunterfahren sollen. Wieder eine halbe Stunde vergeht, dann sehen mehrere Rampen so aus, als könnten wir einen Versuch wagen. Die Soldaten sind bereits weg. Jetzt sind wir auf uns allein gestellt. Andreas ist mit der Venus der Erste. Simon steht vor ihm und gibt Zeichen. Es schleift, es knirscht, es rumpelt, aber er kommt tatsächlich durch. Jubel bricht bei uns aus.

Der Nächste bin ich. Wieder diese unangenehmen Geräusche, die signalisieren, dass ich mit Merkur mehr Bodenkontakt mit den Steinen habe, als mir lieb sein kann. Aber auch ich komme durch. Nur die Gurte, die das Bodenblech hielten, sind jetzt durchgescheuert. Das Blech bleibt auf den Steinen liegen. Ab jetzt hat Merkur keinen Ölwannenschutz mehr. (Und auch keine funktionierende Klimaanlage! Erwähnte ich das schon?)

 

Im Team turborostig beißen nicht den Letzten die Hunde. Auch Phillip schafft mit Jupiter den Ritt auf den Rolling Stones. Wieder Jubel. Team turborostig ist unschlagbar. Jetzt holen wir uns das Kamel. „Wir schaffen das!“

Weiter geht’s. Immer der grünen Farbmarkierung an einigen Steinen nach. Doch die Dämmerung bricht langsam ein. Wir queren eine andere Straße, auf der plötzlich aus dem Nichts Scheinwerfer auftauchen. Ein paar Geländewagen voll besetzt mit Israelis düsen an uns vorbei. Johlend. Vielleicht geht’s in die nächste Disko. Auch Kamele begegnen uns. Es wird stockdunkel. Wir können kaum mehr die Straße ausmachen. Wir beschließen, an Ort und Stelle unser Lager aufzuschlagen und die Nacht in der Wüste zu verbringen. Wir haben zwar kein Fünf-Sterne-Hotel, dafür aber ein Fünf-Millionen-Sterne-Hotel.