Tag 11

Abfahrt in Usak um 9.15 Uhr. Die erste Polizeieskorte, die reibungslos funktioniert. Die Straßen werden für uns abgesperrt, in gemäßigtem Tempo geht es durch den Ort. Es wird spannend.

 

Wir werden zu einem blauen AOR-Tor geführt. „Start“ steht groß darauf. Die Kartenkopien der Tour zum Canyon werden ausgegeben. Der Bürgermeister und der Gouverneur verteilen Gastgeschenke. Usak ist bekannt für seine Teppiche und Seidenwaren.

Die Lokalpolitiker haben uns die Durchfahrt durch den Canyon erlaubt, der im Naturschutzgebiet liegt und der übrigens der zweitgrößte der Welt sein soll. Wir zweifeln sehr stark an dieser Angabe. Vielleicht gefühlt. Von der Polizei eskortiert fahren wir durch das Tor aus dem Ort hinaus, vorbei an Feldern mit weißen Mohnblumen.

 

In Clandras besichtigen wir eine Bogenbrücke, erbaut in römischer Zeit. Dahinter mehrere Wasserfälle. Das Wasser aus den Bergen wird hier aufgestaut. Ein in die Jahre gekommenes Turbinenkraftwerk erzeugt hier Strom. In der Maschinenhalle wird an einer der Generatoren gearbeitet.

Endlich – jetzt geht es eine richtig gute und recht staubige Offroad-Piste entlang. Durch die aufgewirbelte Staubwolke lässt sich der Vordermann nur noch erahnen. Ich stelle mich mit dem einen Fuß auf den Beifahrersitz, mit dem anderen auf die Mittelarmlehne und fotografiere und filme während der Fahrt aus dem geöffneten Schiebedach heraus, während Sigrid versucht, einerseits so langsam zu fahren, damit sie mich „nicht verliert“, und andererseits aber so schnell, damit es im Video ordentlich aussieht und wir nicht zum Hindernis für die nachfolgenden Teams werden, die uns auf den Fersen sind.

Und wieder fliegt uns die CB-Funk-Antenne, die durch einen Magnetfuß am Fahrzeug haften bleibt, vom Dach – nach dem Le-Mans-Start-Rennen in Ankara jetzt schon zum zweiten Mal. Auch diesmal wieder wegen eines überhängenden Baumes. Es gelingt uns, sie wieder unbeschädigt zu bergen. Um die Schlaglöcher herumzufahren und den Felsbrocken auszuweichen macht richtig Laune. Nach rund 20 Minuten Staub haben wir wieder griffigen Asphalt unter den Schlappen.

Nicht nur ich bin nach dieser Fotoaktion auf der Offroad-Piste mächtig eingestaubt. Unsere Frontscheibe auch. Vermutlich beim Unfall mit dem Wildschwein  in Bulgarien wurde der Scheibenwischwasserbehälter beschädigt und das Wasser ist ausgelaufen. Kein Problem, denke ich. Wir haben doch ein Schiebedach. Da kann ich doch spielend leicht während der Fahrt von oben Wasser aus der Trinkwasserflasche auf die eingestaubte Frontscheibe gießen, denke ich. Doch Theorie und Praxis widersprechen sich manchmal im Leben. Ich muss erfahren und lernen: Bei Geschwindigkeiten ab etwa Tempo 50 funktioniert das Ganze nicht so wie gedacht. Obwohl Wasser immer nach unten fließt, wegen der Schwerkraft – der Fahrtwind und die Luftströmung sind stärker. Sie lassen das Wasser nicht nur am oberen Rand der Scheibe verharren, sondern drücken es noch weiter nach oben beziehungsweise hinten, und dann direkt ins geöffnete Schiebedach hinein. Nicht nur wir werden nass, sondern all unsere Ladegeräte, Fotoapparate und das Laptop auch. Ok, wir haben gelernt: Scheibenreinigung nur noch an Tankstellen oder während der Fahrt in geschlossenen Ortschaften, wenn’s langsamer zugeht.

Nun geht es zum Canyon. Auf dem Plan werden zwei Möglichkeiten aufgezeigt: wir entscheiden uns für die Strecke, die nach Esme weiterführt. Zuerst aber biegen wir nach rechts ab, fahren am Rand des Canyons entlang und halten. Ein grandioser Ausblick erwartet uns. Ein schöner Ort, um mit dem Bier eines Sponsors anzustoßen – eine unserer Sonderaufgaben haben wir hiermit erfüllt. Wir fahren weiter. Im Canyon selbst entdecken wir einige in den Fels gehauene Höhlenwohnungen.

 

Wir wollen weg von der gut ausgebauten und schön asphaltierten Straße und machen einen Schwenk nach links. Schöne kurvige, kleine Sträßchen geht es entlang, vorbei an wilden Müllkippen mitten in der Landschaft. Immer wieder blühen blaue Iris am Wegesrand.

 

Simon wird in Esme von der Polizei angehalten. Wir rätseln: was ist passiert? Nach einem kurzen Wortwechsel zwischen der Jupiter-Besatzung und den Uniformierten ist rasch klar: Die Beamten sind uns wohl gesonnen. Wir erhalten eine persönliche Polizeieskorte und werden durch den Ort geleitet. Es ist bereits 14 Uhr.

In Richtung Alacaoglu sind wir unterwegs. Da droht schon das nächste Unheil: die ABS-, BAS- und ESP-Warnlampen leuchten in unserem Merkur auf. Andreas beruhigt uns und gibt Entwarnung. So könnten wir in den Kurven noch besser driften, meint er über Funk. Links geht’s nach Denizli, es sind noch 50 Kilometer bis dorthin. Heute am Spätnachmittag zeigt die Temperaturanzeige 27,5 Grad an. Wir fahren in Serpentinen die Berge hoch. Es geht über einen ersten Pass mit 1557 Metern und noch über einen zweiten mit 1500 Metern Höhe.

Wir entscheiden uns dafür, von der Schnellstraße hinunter einen „kleinen Umweg“ auf Nebenstraßen zu fahren. Unser Ziel ist ja Land und Leute kennenzulernen. Nachträglich wird sich herausstellen, dass wir genau richtig gehandelt haben. Zunächst fahren wir an Feldern vorbei, die gerade bestellt werden. Hinter einem Traktor sitzen auf einem Arbeitsgerät mehrere Frauen, natürlich alle mit Kopftuch, die offensichtlich Pflanzsetzlinge in die Erde stecken.

In dem kleinen, beschaulichen Ort Yesilkavak wollen wir nach dem Weg fragen. Hier passiert das, was uns während unserer ganzen Reise, insbesondere in der Türkei, aufgefallen ist: Wir treffen ausnahmslos auf nette, aufgeschlossene Menschen, die uns mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln (weiter-) helfen wollen. Wird’s bei der Verständigung schwierig? Kein Problem. Dann wird ein Smartphone gezückt und irgendein Bekannter angerufen, der englisch oder sogar deutsch spricht. In Yesilkavak ist das nicht nötig. Hier trifft Simon auf einen Mann, mit dem französische Worte gewechselt werden. Er ist jetzt 55, sagt er später, ist mit 14 zuhause weg, war in seinem Berufsleben zehn Jahre in ganz Frankreich als Bauleiter unterwegs. Nun hat er 35 Jahre seines Lebens gearbeitet, das reicht, sagt er. Seinen Ruhestand will er in seinem Heimatdorf verbringen. Mehreren Kindern, die auf der Straße spielen, überreichen wir Bälle und einige Kappen.

Ein anderer Mann kommt wenig später hinzu. Mit ihm gibt’s jetzt gar keine Verständigungsprobleme mehr. Denn er spricht perfekt deutsch. Um es genau zu sagen: österreichisch. Mit geschlossenen Augen sieht man einen bärtigen Bergbauern aus der Alpenrepublik vor sich stehen. Er ist aber Türke und lädt uns alle zum Cay und zum Kaffee ein. Und sogar zum Mittagessen. Letzteres lehnen wir aber freundlich aus Zeitgründen ab. Für den Cay und den türkischen Kaffee nehmen wir uns aber genügend Zeit. In einem kleinen Laden decken wir uns mit Brot und Käse ein. Als wir diesen verlassen, reicht uns „der Österreicher“ einen Beutel mit grünen Pflaumen nach, als Geschenk. Dieses recht säuerlich schmeckende Obst ist offensichtlich typisch für diese Region.

 

Dann überraschen uns unsere beiden Gesprächspartner ein weiteres Mal. Zunächst reichen sie uns noch drei Tüten in unsere drei Autos. Darin jeweils eine große Portion Pizza und zwei Ayran (Trink-Joghurt). Und sie setzen sich beide ins Auto und geleiten uns aus dem Ort und weisen uns auf einer staubigen Piste den richtigen Weg.

 

Wieder zurück auf Asphalt quert – wie bei uns in Deutschland des Öfteren ein Igel – vor uns eine Schildkröte die Straße. Wir alle drei Autofahrer haben sie zum Glück rechtzeitig entdeckt. Ob es eine griechische Landschildkröte war? Und ob sie Asyl in der Türkei beantragt hat?

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Beim nächsten Tankstopp überrascht uns der Tankwart im Seniorenalter mit einer spontanen Autowäsche. Er greift zu Langstielschrubber, Schlauch und Wassereimer mit Shampoo und lässt unsere drei Sterne in wenigen Minuten in frischem Glanz erstrahlen. Leider beachtet der engagierte Saubermann das offene Schiebedach von Merkur nicht. Und so schnell, wie der Tankwart herumwirbelt, können wir gar nicht reagieren. Wasser spritzt hinein und so bekommt die Kamera, die auf dem Fahrersitz liegt, ein paar Spritzer ab.

 

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Überhaupt lernen wir immer wieder neue Seiten an türkischen Tankstellen kennen. So auch diesmal. Andreas wundert sich über die Tankrechnungen. Es stellt sich heraus, dass unsere Sterne nicht vollgetankt wurden. Der Grund: mangelnder Benzinvorrat. Das passiert uns jetzt bereits zum zweiten Mal. Bei einer anderen Tankstelle, die wir in den Tagen zuvor angefahren hatten, gab es gar kein Benzin mehr, nur noch Diesel. Neu für uns ist auch, dass das Bedienungspersonal vor dem Tankvorgang jede einzelne Zapfsäule mit einer Chipkarte erst freischalten muss und zudem auch das jeweilige Kennzeichen des zu betankenden Autos über eine Texteingabe eintippt. Warum? Das bleibt für uns ein Rätsel.

 

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Wir befinden uns kurz vor Fethiye und haben bald unser heutiges Ziel Dalyan erreicht. Hier nächtigen alle auf einem größeren Platz bei der Moschee mitten in der Stadt. In der nahegelegenen Bar Kebabcim treffen wir auf das OK-Team. Deren Menü-Tipp Iskender Kebab war die richtige Wahl auch für uns. Sehr lecker. Es ist außerdem unterhaltsam, sich mit dem witzigen Besitzer des kleinen Kebablokals auszutauschen. Der Spaßvogel hat einige Zeit in England gearbeitet. So ist die Unterhaltung mit ihm kein Problem. Er gibt uns Telefonnummer und Adresse eines Schrotthändlers. Wir sollten uns nämlich so langsam um unser demoliertes Licht kümmern, sonst könnte die Einreise nach Israel schwierig werden. Jetzt wissen wir auch das Wort für Schrottplatz auf englisch: Scrapyard.

 

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Zurück am Auto freuen wir uns schon auf eine Dusche, die ist wirklich überfällig. Hinter der Moschee gibt es ein Toilettenhaus mit Duschen, das rund um die Uhr geöffnet hat, hören wir. Dort angekommen stellen wir fest, dass es im letzten WC, das etwas größer ausgefallen ist, auch eine Duschmöglichkeit gibt. Besser als nichts. In Rekordzeit duschen wir, das Wasser ist nämlich eiskalt.

 

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Auf dem Weg zurück rennt uns ein Hund entgegen, der irgendetwas Schwarzes im Maul hat. Ihm folgend rennt Uta im Nachthemd hinterher: „Mein Schuh! Der Hund hat meinen Schuh!“, ruft sie uns zu. Nach kurzer Verfolgung rückt der vierbeinige Streuner mit seiner Beute heraus. Uta kann sich beruhigt zu Bett legen.