Tag 4

Das darf ja wohl nicht wahr sein. „Pink is back“ klebt an den Scheiben aller unserer Autos. , die „Fehlzünder“, das Team 23 sind an uns mitten in der Nacht vorbei. Allerdings mit einem kurzen Halt, um ihren Gruß zu hinterlassen.

 

Nur 8 Grad Celsius zeigt das Thermometer an und es regnet mal wieder. Wir machen uns auf nach Giurgiu und suchen den Weg zur bulgarischen Grenze. Der Weg zum Hafen stellt sich als Sackgasse heraus. Kurz vor der Grenze wieder das Prozedere, das wir bei jeder Überfahrt von einem ins andere Land so stets wiederholen. Kurzer Halt, Wechsel der Gastlandfähnchen am rechten Fahrzeugstander, dann ein „Beweisfoto“ vor dem Grenzschild – und weiter geht’s.

 

Doch an der Grenze gibt’s auf der bulgarischen Seite Probleme. Der Grund: Ich habe meinen Original-Fahrzeugschein zuhause griffbereit auf dem Wohnzimmertisch vergessen und bin bislang mit einer Kopie des Schein problemlos nach Österreich, Ungarn und Rumänien ein- und dann wieder auch ausgereist. Aber hier winkt man uns zunächst auf den Seitenstreifen und lässt uns warten. Dann kommt eine uniformierte Frau, sagt, dass eben der Originalschein da sein müsste. Sie lässt dann aber auch durchblicken, dass es eventuell einen Ausweg geben könnte. Wir haben verstanden, während sie wieder in Richtung Wachhäuschen verschwindet. Wir gehen ihr zu dritt nach, sie gibt uns aber schon von Weitem zu verstehen: „Only one Person!“ Aha, sie will keine Zeugen. Nachdem wir ihr einen blauen 20er – Euro natürlich – ohne Aufsehen in die Hand drücken, lässt sie uns passieren.

 

Nur wenige Kilometer überholen wir ein für das Land so typisches Pferdefuhrwerk. Darauf ein Mann mit seinen zwei Buben, die uns zu lächeln und winken. Wieder wenig später erfüllen wir einen Teil unserer Aufgabe, Brauerei-Aufkleber an interessanten Orten zu hinterlassen. Wir haben so unsere Spur an der Polizeistation vor Karnobat und auf einer Kanone in Zimnitsa hinterlassen. Dort halten sich auf einem Platz Kinder auf. Vorsichtig kommen sie näher, als wir ihnen mit Händen dies zu vermitteln versuchen. Sie freuen sich sehr, als wir ihnen Kappen und zwei Bälle schenken.

Tag 4 endet abenteuerlich. Das Debakel beginnt an der bulgarisch-türkischen Grenze. Für Venus mit Andreas und Uta sowie Jupiter mit Phillip und Simon hebt sich jeweils problemlos die erste Schranke. Für unseren Merkur mit Sigrid und mir zwar auch, aber wir müssen direkt nach dem Zollhäuschen warten. Die Uniformierte behält unsere Pässe und arbeitet erst mal die Autoschlange ab. Als es tatsächlich einen Moment gibt, an dem kein Auto mehr passieren will, das ist nach gefühlten 60 langen Warteminuten, verlässt sie ihr Häuschen und marschiert mit unseren Dokumenten, inklusive unserer Fahrzeugscheinkopie, in Richtung Bürogebäude. Nach reichlich vielen Minuten kommt sie wieder heraus. Im Schlepptau einen Mann in Uniform, auf der etwas mit „Police“ steht. Er wendet sich uns zu und fragt in gebrochenem Englisch, was das Problem ist, warum wir das Original des Kfz-Scheins nicht dabei haben. „Zuhause vergessen!“ Wo kommt ihr her, fragt er. Wie seid ihr ohne Schein nach Österreich, Rumänien und Bulgarien eingereist? Und wie viel Bakschisch habt ihr gegeben? Wir verneinen. Nichts.

 

Das nächste Problem sei, will er uns vermitteln, dass die türkische Seite uns auf gar keinen Fall ins Land hinein lassen würde. Aber er will mit uns zu den etwa 200 Meter entfernt stationierten Kollegen gehen. Zusammen mit einem weiteren Kollegen, der Türkisch kann. Wir marschieren an unseren Team-Kollegen vorbei, die noch immer auf uns warten und zwischen den Schlagbäumen stehen – im Niemandsland sozusagen. An der türkischen Seite wird viel palavert. Die Blicke der Zöllner beider Staaten, die mich immer wieder treffen, interpretiere ich als Rat suchend, Kopf schüttelnd und mitleidsvoll.

 

Plötzlich habe ich einen Hoffnungsschimmer. Mir fällt die mögliche Lösung ein: wir haben doch eine Art Geheimwaffe. Nadir vom Organisationskommitee. Er ist Türke, spricht perfekt Deutsch und hat seine „Notfall-Telefonnummer“ allen Teams mit auf den Weg gegeben. Ich rufe ihn gleich an, überreiche das Smartphone an den türkischen Zöllner und warte ab. Nach einer kurzen Begrüßungsformel hört dieser andächtig zu und nickt immer wieder andeutungsweise. Eine Minute dauert das Gespräch etwa. Dann übergibt mir der türkische Uniformierte das Handy wieder und sagt, ich kann kommen und passieren. Ganz im Stillen jubiliere ich, während wir zu dritt wieder zur bulgarischen Seite schreiten.

 

Dort aber geschieht, was mich fassungslos macht. Der bulgarische Zöllner will uns partout nicht ausreisen lassen, schickt uns wieder zurück. Wir verhandeln, diskutieren, betteln und flehen sogar. Nichts. Auch das Zeigen eines blauen Zwanzigers lässt ihn kalt. Wir brauchen originale Dokumente. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit unseren Team-Kollegen zu beraten und zu verabschieden. Sie werden weiter nach Istanbul fahren, übernehmen auch den GPS-Tracker, der bis dahin im Merkur eingebaut war, und Sigrid und ich werden uns in Bulgarien ein Hotel suchen. Dort hin soll mein Sohn uns den Kfz-Schein per Express schicken. Das jedenfalls ist der Plan. Kurzer Abschied und dann trennen sich unsere Wege.

Sigrid und ich fahren einige Hundert Meter, dann beschließen wir eine Planänderung. Wir versuchen es einfach an einem anderen Grenzübergang. Ein kurzer Blick auf die Karte sagt, dass es gar nicht so viele Grenzübergänge gibt und wir mindestens 100 Kilometer fahren müssen. Wir entscheiden uns für einen weiter südwestlich gelegenen. Mit unserem Merkur reize ich auf der Landstraße die zulässige Höchstgeschwindigkeit aus.

Es dämmert bereits. In einer halben Stunde wird es dunkel sein. Da sehe ich auf der rechten Seite aus dem Wald kommend einen kapitalen Keiler auf uns zu rennen. Der wird doch nicht…? Doch! Weitere Überlegungen anzustellen, dazu habe ich gar keine Zeit. Das Wildschwein rast auf die Straße, ich habe keine Möglichkeit zum Ausweichen.

Es tut einen jenseitsmäßigen Schlag. Der Schwarzkittel schlittert ewig weit noch in Fahrtrichtung, bevor er regungslos auf der Straße liegen bleibt. Uns ist nichts passiert, das Auto ist noch fahrbereit. Ohne auszusteigen beschließe ich, zunächst ein Stück weiter zu fahren. Die derben Schleifgeräusche aus Richtung rechter Radkasten ignoriere ich.

Etwa einen Kilometer weiter ist Schadensbegutachtung angesagt. Oh je, unseren schönen Merkur hat’s ganz schön erwischt. Es gibt keinen Kühlergrill mehr, die Stoßstange hängt auf der rechten Seite auf halbacht, der Scheinwerfer rechts ist nicht mehr zu retten und Kotflügel und Motorhaube sind eingedellt und verbeult. Ich entferne die Hälfte der inneren Radverkleidung, die es ebenfalls zerbröselt hat. Zum Glück hatte kein Airbag ausgelöst. Und zum Glück fährt das Auto problemlos.

Wir fahren zurück zum Wildschwein. Doch das finden wir nicht mehr. Keine Spur vom Keiler. Wir vermuten, dass ihn einer der entgegenkommenden Autofahrer spontan eingeladen hat und er bald in irgendeiner bulgarischen Bratpfanne landen wird. Wir haben noch ein weiteres Mal Glück im Unglück: Bislang war mir nicht aufgefallen, dass ich nach dem tierischen Crash vorne gar kein Kennzeichen mehr am Auto habe. Das Schild finden wir am Unfallort. Nicht auszudenken, welche Schwierigkeiten auf uns zugekommen wären. An den noch kommenden Grenzübertritten oder sonst wo. Mit nur einem Kennzeichen hinten. Aber das wenigstens im Original.

Weiter geht’s in Richtung Grenze, die wir anderthalb Stunden später erreichen. Diesmal gibt’s auf der bulgarischen Seite keine Probleme. Auf der türkischen Seite macht der Zöllner zunächst wieder ein nachdenkliches Gesicht. Ich zücke unsere Geheimwaffe: mein Mobiltelefon mit Nadir am anderen Ende. Und wieder wirken die Worte des OK-Mitglieds Wunder. Der Zöllner ist freundlich und wünscht uns eine gute Fahrt.

 

 

Gegen 3.30 Uhr erreichen wir die ersten Ausläufer Istanbuls. Futuristisch sieht die Neubausiedlung mit zig modernen Hochhäusern aus, die wir als erstes Ziel ansteuern. Doch wir entscheiden uns für eine Siedlung mit Einfamilienhäusern der gehobenen Klasse. Wir entdecken Wachleute, die in den Straßen patroullieren. Hier sind wir richtig. Wir finden einen Parkplatz, richten unser Lager und sagen uns gute Nacht. Was für ein Tag.