Tag 3

Wir hatten gestern Abend ausgemacht: Abfahrt 7 Uhr! Wecker klingelt 6.30 Uhr. In der Venus und im Jupiter rührt sich noch nichts. 10 Minuten später, die erste Klappe geht hoch, kurz danach klopft jemand auf unser Auto. Das morgendliche Prozedere beginnt: Umständliches Anziehen (jedenfalls zunächst das Nötigste) noch im Bett. Umständlich deshalb, weil wir in unserer Sternen-Schlafstätte kaum Bewegungsfreiheit nach oben haben. Auf dem Rücken liegend passt nicht mal ein Fußball zwischen Nase und Dachhimmel. Zähneputzen, wo ist denn hier die Toilette? Andreas lässt seine Arme kreisen und deutet überall hin. Dann wieder die ganze Ladung von den Vordersitzen und vom Freien, beispielsweise der Rosenstock und der Roller, nach hinten auf die Matratze.

 

Jetzt, ohne Kaffee und Frühstück, ans Steuer. In diesem Moment schlägt die Uhr der benachbarten Kirche, wohl zum ersten Mal an diesem Tag. Denn in der Nacht war’s totenstill um uns herum. Abfahrt bei trockenem, aber komplett bedecktem Himmel. In der Ferne in dem weiten flachen Landstrich Ungarns sehen wir Wolken, durch die sich Sonnenstrahlen hindurch kämpfen. Dann fängt’s schon wieder an etwas zu nieseln. Wir hatten die Hoffnung, das Schmuddelwetter hinter uns zu lassen. Diese Hoffnung hat sich bislang leider noch nicht erfüllt. Andreas schlägt über Funk vor, drei Stunden auf den recht guten Straßen durchzufahren, bis nach Rumänien, und dann (nach der Grenze) zu frühstücken. Wir stimmen zu.

Bei Kilometer 693 um 8.25 Uhr und Gesamtkilometerstand 314.000 zeichnet sich plötzlich das nächste drohende Unheil an, in Form einer gelb aufleuchtenden Warnlampe und schon wieder bei unserem Merkur. Das Warnsymbol zeigt einen Motorblock. Wir vermuten, dass wir weiterfahren könnten, wollen aber sicher sein und der Ursache auf den Grund gehen. Wir halten auf einem Parkplatz. Motorhaube auf, kurzer Check: Öl, Wasser, Temperatur, Keilriemen – nach Augenschein ist alles in Ordnung. Auch in unserem Bordbuch finden wir keinen Hinweis auf dieses Warnsymbol.

 

Unser Halt dauert noch keine Minute, da taucht ein Mann auf, ist interessiert an unserer Rallye, findet das eine tolle Sache und ist begeistert. Er sagt von sich, dass er Musiker ist und selbst viel herumreist. Als er von unserem Problem hört, dass wir selbst zunächst nicht lösen können, ruft unser erster ungarischer Rallyefan einen Bekannten an, der Auto-Diagnose-Computer hat und der sogar Deutsch spricht: Gabor Ferenc in Tevel. Zum Glück: das liegt genau in unserer Fahrtrichtung.

Kurz vor dem Ort fragen wir einen Passanten nach dem Weg, der kurzerhand in seinen Opel springt und uns den Weg weist. Es geht durch einen kleinen idyllischen Ort mit rund 500 Einwohnern, bis wir das Ziel am anderen Ortsende erreichen. Gabor hat eine kleine Werkstatt und restauriert Oldtimer. Er blüht auf, als er von seinen drei Rolls Royce erzählt, die er mal aufwendig hergerichtet hat. Er spendiert eine Runde Kaffee aus seinem Automaten. Er hängt unseren Merkur ans Diagnosegerät, sagt nach kurzer Zeit: Es ist nix Schlimmes, nur die Lambda-Sonde, so könnten wir beruhigt weiterfahren. Richtig erleichtert und Gabor fast umarmend schießen wir ein Erinnerungsfoto und machen uns auf den Weg gen Istanbul. Unser Merkur ist allerdings an diesem Tag nicht der einzige mit Problemen. Bei Venus klemmt ein Seitenfenster und lässt sich nicht schließen und Jupiter klagt über Zündaussetzer. Anderthalb Stunden, nachdem wir unsere Route fortsetzen konnten, entdecken wir einige Hinweisschilder nach Bacsalmas. Aber leider reicht die Zeit nicht für einen Abstecher in die Partnerstadt Backnangs. Dafür genießen wir einen ersten wunderbaren Blick auf die Donau.

Die ungarisch-rumänische Grenze erreichen wir um 13.10 Uhr. Schnell den Übertritt für‘s Roadbook dokumentiert: Wir stellen uns zum Gruppenfoto vor dem Grenzschild auf. Team La-O-La war schon vor uns da und hat einen Aufkleber hinterlassen. Außerdem entdecken wir einen alten ausgeblichenen AOR-Aufkleber. Aus welchem Jahr? Das werden wir noch herausfinden.

 

Der rumänische Zöllner will unsere Pässe sehen und wird zunehmend freundlicher, als ich in englischen Worten von der Rallye erzähle. Nach Ungarn sind auch hier in Rumänien die Straßen in für mich erstaunlich gutem Zustand. Ich hatte Schlimmeres erwartet. Meldung von Andreas kommt per Funk – aktueller Stand GPS-Tracker: wir liegen auf dem 27. Platz von 31 Teams, die sich angemeldet haben. Rund 20 weitere Teams hatten auf diesen GPS-Service verzichtet.

 

In die unendliche Weite, die wir zu Beginn in Rumänien sahen, haben sich mittlerweile sanfte Hügelketten in die Landschaft hineingeschoben. Es sind noch 475 Kilometer bis Bukarest. Allerdings werden wir vorher in Richtung Bulgarien abbiegen. Die Sonne kommt wieder hinter den Wolken vor, es wird zusehends wärmer. T-Shirt ist angesagt.

Kurzer Stopp auf einem Parkplatz. Wir haben Hunger und schauen nach unseren Carbecue-Würstchen im Merkur. Die hatten wir beim letzten Tankstopp, der rund 200 Kilometer zurückliegt, in Alufolie auf den Motorblock gelegt und mit Panzerband festgeklebt. Warum diese verrückte Zubereitungsart unseres Grillguts? Ein Carbecue ist die neue Art zu kochen, bei der wir laut Aufgabenstellung nur die Autos als Wärmequelle verwendet werden dürfen. Der Motor kann im Wesentlichen nur wärmen. Im Prinzip wie beim Niedrigtemperaturgaren zuhause. Ich halte dies zuerst mit meiner Gopro, dann mit der Handykamera fest. Schade, die Würstchen sind noch nicht durch. Wir verfrachten deshalb unser Grillgut in den Motorraum von Venus, in der Hoffnung, dass die Temperaturen dort noch höher sind und die Würstchen noch mehr schwitzen müssen.

 

Es gibt nicht nur Würstchen, sondern auch Salat. Und zwar Kabelsalat. Ein Blick auf unsere Mittelkonsole verrät, warum. Da liegen sämtliche Anschlüsse des CB-Funk-Gerätes, eine 12-Volt-Mehrfachsteckdose, ein Spannungswandler sowie zig Ladegeräte mit Kabeln. Das Gebot der Stunde: Den Durchblick nicht verlieren.


Beim Schließen der Motorhaube von Merkur wundere ich mich, dass ein Widerstand zu spüren ist. Beim zweiten Schließversuch geht’s problemlos. Wir fahren weiter und entdecken eine interessante Eisenbahnbrücke. Ich will filmen und vermisse meine Gopro. Wo ist sie? Schnell auf den nächsten Parkplatz gefahren, schnell die Motorhaube aufgemacht. Wo ist sie? Zum Glück finde ich sie seitlich im Motorraum – fast unbeschädigt. Und das Wichtigste: sie funktioniert noch.

Ein Lkw nach dem anderen rast durch die kleinen Orte. Es ist die Straße von und nach Bukarest. Es geht gegen Abend zu. Wir befinden uns jetzt rund 400 Kilometer von Bukarest entfernt. Kurze Pinkelpause. Andreas verkündet: wir liegen bereits an elfter Stelle bei den GPS-Trackern. Durch die  Nacht fahren wir in Richtung Grenze. Von Rumäniens Land- und Ortschaften sehen wir in der Dunkelheit leider nichts mehr.

 

Tankstopp kurz vor der Grenze. Was machen denn unsere Würstchen unter der Motorhaube? Lecker sehen sie aus, ob sie wohl schon gar sind? Laut Roadbook brauchen beispielsweise geschälte und in Scheiben geschnittene Kartoffeln 100 Kilometer, bis sie gar sind. Andreas kommt hinzu und meint: nur noch 70 Kilometer. Alle lachen. Er bezog es auf den Weg zur bulgarischen Grenze, wir auf die Carbecue-Speise. Der Tankwart, dem wir von den Würstchen anbieten, lehnt mit einem Lächeln ab. Er schenkt uns drei Trinkflaschen. Multu mesk, danke schön.


Gerade fahren wir an Alexandria vorbei. Es ist bereits nach Mitternacht. 1715 Kilometer liegen bereits hinter uns, noch viel mehr vor uns. Ein blinkendes Andreaskreuz bringt uns zum Halten, ein ewig langer Güterzug quert. Wir sind alle mehr oder weniger müde. Vorschlag von Simon, nicht bis zur Grenze zu fahren. Gute Idee! Wir nächtigen auf einem an der Straße gelegenen Grillplatz an einem kleinen See. Endlich schlafen.