Tag 7

Heute lässt sich der heiße Tag schon erahnen. Frühstück in der warmen Sonne. Es hat bereits 27 Grad Celsius. Mit der Technik haben wir Pech. Mein Handy mit der neu gekauften Turkcell-Karte weist kein Guthaben auf. Auch das OK-Team scheint sich heute Morgen uneins zu sein. Das Roadbook gibt es heute nicht. Per WhatsApp gibt es folgende Mitteilung: Abfahrt um 10 Uhr, Ziel Bogazkale.

 

Aufgaben gibt es heute ebenfalls keine. Laut unserem Navigator Simon ist die Strecke heute, die noch vor uns liegt, die längste aller Tagesetappen durch die Türkei. Kinder springen umher, sind neugierig, stehen am Fenster und blicken mit großen Augen in den Raum in dem kleinen Häuschen im Allgäu-Orient-Rallye-Park, in dem die Teams ihre mitgebrachten Verkehrsschilder und Kinderfahrzeuge (Tretroller, Fahrräder und Bobbycars) abgestellt haben.

 

Unser Team hat ebenfalls unsere Verkehrsschilder der Gemeinde Allmersbach im Tal sowie zwei Tretroller dort abgestellt. Wir lassen unser Kinderfahrrad auf dem Dach und werden es einem anderen Kind schenken, da es hier schon jede Menge davon gibt. Vom OK gibt es noch einen Übernachtungsstempel ins Roadbook und los geht’s. Wir suchen den Weg Richtung Ankara. Und außerdem noch eine Tankstelle, da unsere Sterne bereits auf Reserve laufen.

 

Wir fahren bei einer größeren, geöffneten Tankstelle vor. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, nicht selbst den Rüssel ins Rohr hängen zu müssen, sondern beim Tanken bedient zu werden. Neu für uns ist aber, dass man uns wieder wegschickt. Ohne Kraftstoff. Der Grund; es gibt kein Benzin mehr. Na gut, dann zur nächsten. Dort erleben wir erstmals, was wir bei weiteren Tankstopps immer wieder erleben werden: Der Tankwart – für jede Säulengruppe gibt’s wohl einen – muss zunächst mit seiner Scheckkarte die Tankstelle freischalten. Dann tippt er irgendeinen Zahlencode ein und zum Schluss dann noch unser Kennzeichen. Wofür das Ganze? Keine Ahnung. Egal, Der Sprit läuft. Und das ist die Hauptsache.

 

Um Zeit zu sparen haben wir uns folgende Tankstopp-Strategie ausgedacht: Wenn Kraftstoff nachgefüllt wird, dann stets bei allen drei Sternen. Gezahlt wird dann immer auf einmal auf eine Kreditkarte. Die große Abrechnung erfolgt für uns alle dann am Ende der Rallye.

An der Tankstelle treffen wir auf Team 39 „Klüttejonge“, an die wir uns zunächst dranhängen können. Vollgetankt, was für ein beruhigendes Gefühl, geht’s weiter. Unterwegs haben wir Heißhunger auf etwas Frisches. Da ist uns ein Obst- und Gemüsestand willkommen.

Endlich, wir sind auf der D 100 in Richtung Izmit unterwegs. Rechtsseitig taucht aus dem Dunst das Marmarameer auf. Wir alle sind uns einig: Auch wenn die direkte Route zum Ziel es nicht vorsieht – so nah am Schwarzen Meer vorbei zu fahren ohne einen kleinen Abstecher dort hin zu unternehmen… das geht gar nicht. Also biegen wir links ab. Der Umweg in Summe beträt nur 60 Kilometer. Bei den Distanzen, die wir insgesamt zurücklegen, Peanuts. Oder auf Türkisch: Schwarzmeerstrand-Sandkörner.

Um 14.30 Uhr erreichen wir das Meer. Tut das gut, im mindestens 18, eher geschätzten 21 Grad warmen beziehungsweise kalten Wasser zu stehen und die Wellen und den Sand zu spüren. In einem Lokal am Strand wollen wir etwas essen. Die türkische Speisekarte erscheint uns als Buch mit sieben Siegeln. Lesen können wir Gözleme (Pfannkuchen), Cay (Tee), Filterkaffee und Cola. Die Kellner sind flexibel, wir sind flexibel. Erst gibt es drei Bestecke für uns sechs. Dann eine Cola zu wenig. Bier oder Wein gibt es sowieso nicht. Irgendwann kommt ein weiteres Besteck, das dazugehörige Essen aber nicht.

Sigrid versucht, Minztee zu bestellen. Gebracht wird Cay – Schwarztee. Im Salat steckt ein Minzzweig. Sigrid versucht es noch einmal, indem sie darauf deutet. Daraufhin erhält sie getrocknetes, intensiv riechendes Minzkraut. Ok, letzter Versuch. Sie zeigt auf die Minze und sagt Cay. Der Kellner strahlt: Mint-Lemon? Sigrid nickt. Die anderen unken schon. Sie sind gespannt, was nun kommt. Es gibt frisch aufgebrühten Minztee mit Zitronenscheiben. Sehr erfrischend. Das Essen ist lecker. Wir sind froh, dass wir bei 30 Grad Hitze im Schatten sitzen können. Andreas legt sich nach dem Mahl für knappe zehn Minuten in die Sonne – Black-Sea-Power-Napping!

In einem kleinen Lebensmittelladen decken wir uns mit dem Nötigsten ein: Efes (türkisches Bier), Wein, Wasser, Brot, Käse, Paprika, Tomaten und Gurken. Auch Team „101 Nacht“ ist inzwischen hier eingetroffen, wie wir an den Fahrzeugen sehen. Von den Rallyefahrern fehlt jede Spur, die stecken sicherlich im kalten Meerwasser. Zurück nach Düzce auf unsere Strecke Richtung Ankara. In welchem Ort waren wir? In Akcakoca.

230 Kilometer sind es noch bis Ankara. Die Abzweigung Bolu verpassen wir, aber es müsste noch eine weitere geben. Simon biegt plötzlich rechts ab. Eine TÜV-Türk-Station in Sakarya. Alle TÜV-Prüfer sind super freundlich und wissen bereits, um was es bei dieser Aufgabe geht: Da kommen ein paar verrückte Deutsche in ihren alten, heruntergekommenen Karren, jeweils in kleinen Gruppen, bringen eine TÜV-Fahne und wollen dies dokumentiert haben. Wir ergattern tatsächlich Unterschrift und Stempel. Der Officer sagt „Ütsch Car“, was drei Autos bedeutet und zeigt Fotos von Team 39, das vor uns da war. Wir erfüllen unsere Aufgabe, „hissen“ die TÜV-Türk-Fahne  und erhalten unser Zertifikat: You’ve successfully completed your TÜV-Türk-Station-Task.

Wieder auf der Schnellstraße D 100. Diese wie auch alle anderen Schnellstraßen – das fällt mir hier in der Türkei auf , sind in erstaunlich gutem Zustand und haben meist deutschen Standard. Manchmal sind sie sogar um einiges besser. Wir fahren immer wieder an Straßenerweiterungs- und Neubau-Baustellen vorbei. Hier wird viel gebaut. Noch offensichtlicher ist das bei Wohnhäusern. Zahlreiche nagelneue Mehrfamilienhäuser sind zu sehen.

 

Wir verlassen Düzce. Links der Strecke liegt laut Karte ein Berg mit 1829 Meter. Seit längerer Zeit sehen wir über dem Land einen Dunstnebel hängen. Ob es Smog ist? Da sind wir uns nicht sicher. Es sieht jedenfalls so aus wie bei uns zuhause, wenn der Saharastaub in der Luft hängt.

Dann auf der Schnellstraße bei Tempo 120 der erste Verlust, den wir schon seit Längerem befürchtet haben. Zwischen Caidurt und Yenicaga fliegt uns das türkische Stander-Fähnchen von Venus entgegen. Alle stoppen. Ich fahre ein Stück zurück und Sigrid sammelt die auf dem Seitenstreifen liegende Flagge samt Gewindestab, der wohl einem Ermüdungsbruch zum Opfer gefallen ist, ein. Im Kreisverkehr nehmen wir die Ausfahrt nach Samsun und verlassen den Ort Gerede. Mehr als 3.000 Kilometer seit unserem Start in Oberstaufen liegen jetzt hinter uns.

Es ist immer noch sehr dunstig. Vielleicht doch der Saharastaub? Die Sonne verschwindet langsam. Durch die bergige Landschaft sehen wir Felsenwohnungen und Formationen wie sie in Kappadokien vorkommen. Die Straßenverhältnisse lassen eine wesentlich höhere Geschwindigkeit zu, als es das Tempolimit erlaubt. Wir passen uns den türkischen Fahrgewohnheiten an. Demnach ist mindestens Faktor zwei erlaubt. Das heißt: Bei erlaubten 60 km/h klettert unsere Tachonadel schon mal auf 120. Nicht, dass wir rasen wollen. Unser Begehr ist es viel mehr, nicht als deutsche Verkehrshindernisse unterwegs sein zu wollen. „Mitschwimmen“ heißt deshalb seit Übertritt über die türkische Grenze fortan unsere Devise.

 

Inzwischen ist es dunkel geworden. Es ist kurz vor 21 Uhr und wir fahren gerade durch eine größere Stadt: Cankiri. Sigrid zieht sich die Stirnlampe an und schreibt während der Fahrt an unserem Reisebericht. Da die Zeit immer sehr knapp ist, nutzen wir jede Minute. Morgen heißt es bei uns: Fahrerwechsel. So hab‘ ich Zeit, die Berichte für den Rallyeblog zu bearbeiten.

Dann der nächste schmerzliche Verlust: Kurz nach Cankiri verliert Jupiter die deutsche Fahne. Die lassen wir auf der Straße liegen. Es ist zu gefährlich, sie bei diesem Verkehr zu bergen. Phillip und Simon entscheiden sich wenig später dazu, auch ihr türkisches Fähnchen abzumontieren. Denn: Nur unter türkischer Fahne zu fahren, „das geht gar nicht“, sagen sie.

Bogazkale taucht jetzt auf den Schildern auf. Die Polizei weist uns den Weg. Die Burg  auf türkisch Kale  ist das Zeichen. Wir sind angekommen auf einer großen Wiese unterhalb der Burg. Und sind sofort von Kinderscharen umgeben, die auf der Suche nach Kappen, Bällen, Spielsachen und Süßigkeiten sind. An einem Stand wird gegrillt. Der Grillmeister hat ein Restaurant hier im Ort und bietet uns Fisch und Fleisch mit Salat an. Wir entscheiden uns für Fisch. Während wir auf unser Essen warten, erzählt er uns, dass Richard Weizsäcker, als er noch Bürgermeister von Berlin war, eine Woche zu Gast bei ihm war. Uta, Sigrid und ich sowie zwei weitere Rallyeteilnehmer des Team Klüttejonge, wir alle lassen uns den Fisch schmecken. Der Salat ist recht scharf angemacht. Puuh. Andreas kommt später noch hinzu. Auf dem Weg zu unseren Sternen bleiben wir kurz am Lagerfeuer stehen, bevor wir beim Mercedes-Team ankommen, das direkt neben uns parkt. Phillip und Simon befinden sich bereits im Reich der Träume. Wir vier auch gleich.